Osnabrück 2002

Die Worte wachsen beim Lesen

Suche nach neuen Wegen in der Bibelauslegung / Osnabrück ein Zentrum innovativer Bibelwissenschaft

von Maren Grautmann, Osnabrück

Neue Wege in der Bibelauslegung suchten junge Theologen jetzt bei einer Tagung an der Universität Osnabrück. Auf Einladung von Dr. Georg Steins, Professor für Altes Testament, waren die Experten für Bibelauslegung in das Institut für Katholische Theologie gekommen. “Die Bibelforschung wird vielfach kaum noch beachtet innerhalb der Theologie. Das wollen wir ändern”, beschreibt Steins das Ziels des Arbeitstreffens. Der heutige Umgang von Wissenschaftlern mit der Bibel sei vielerorts noch von dem Versuch geprägt, “den vermeintlichen Ursprungssinn eines Textes aufzudecken”, erklärt Steins. Die gängige Bibelforschung wolle herausfinden, wie ein Text entstanden sei und welche Botschaft der antike Autor vermitteln wolle. “Diese Engführungen wollen wir überwinden”, betont er.

Der ursprüngliche Textsinn spiele bei der neuen Art, Bibel auszulegen, nur eine untergeordnete Rolle. “Uns interessiert nicht so sehr die Vorgeschichte eines biblischen Textes”, so Steins: Interessanter sei der Text, wie er heute in der Bibel aufzufinden sei. “Wir betrachten das Umfeld eines Textes, seinen Kontext.” Das entscheidende Umfeld ist dabei die Bibel selbst. Die katholischen und evangelischen Wissenschaftler untersuchen dabei zum Beispiel, ob es Querverweise zu anderen Bibelstellen gibt. Sie fragen danach, welche Bedeutung ein Text für das gesamte Buch der Bibel hat oder ob benachbarte Texte die Interpretation bereichern. Die “kanonische Bibelauslegung”, so heißt die neue Forschungsrichtung, ist aber nicht nur am Kanon der Bibel interessiert. Auch der einzelne Leser gewinnt an Bedeutung. “Schon am Ende der Antike hat Papst Gregor der Große in einem schönen Wort festgehalten, dass die Gottesworte der Heiligen Schrift beim Lesen wachsen”, erinnert Steins. Man gehe davon aus, dass sich bei jeder Begegnung von Bibel und Leser ein neuer Sinn ergeben könne. “Wir meinen, dass das gesamte Geschehen der Überlieferung und der Auslegung der Schrift ein Geschehen des Gottesgeistes ist”, unterstreicht er, “nicht nur das Abfassen.”

Für Dr. Uta Zwingenberger, Leiterin des Bibelforums im Bistum Osnabrück, gehen von der kanonischen Bibelauslegung wichtige Impulse für die Erwachsenenbildung aus: “Es ist spannend, Texte im Kontext zu interpretieren und dadurch theologische Konzepte im Alten und Neuen Testament aufzuspüren.” Vorteil dieser neuen Methodik sei, dass man nicht vor allem historisches Faktenwissen benötige, um die Bibel zu verstehen. Entscheidender sei der Text in seinem Zusammenhang. “Hier spielen auch eigene Lebenszusammenhänge eine wichtige Rolle.” Die Ergebnisse der Tagung lassen auch Georg Steins hoffen, dass die neuen Wege in der Bibelinterpretation auf eine breite Resonanz stoßen: “Es war eine sehr offene und kreative Gesprächsatmosphäre”, resümiert er. „Das macht Lust auf eine Fortsetzung. Osnabrück soll weiterhin ein Zentrum innovativer Bibelwissenschaft sein.”